Tamara Natanowna Press (russisch Тамара Натановна Пресс, ukrainisch Тамара Натанівна Пресс; * 10. Mai 1937 in Charkiw, Ukrainische SSR; † 26. April 2021 in Moskau[1]) war eine sowjetische Kugelstoßerin und Diskuswerferin der 1960er-Jahre. Mit ihrer jüngeren Schwester Irina Press, ebenfalls Leichtathletin, bildete sie ein Schwesternpaar, das in ihrer aktiven Zeit fast alles gewann, was es zu gewinnen gab.[2]
Tamara Press ![]() | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Voller Name | Tamara Natanowna Press | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nation | Sowjetunion![]() | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Geburtstag | 10. Mai 1937 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Geburtsort | Charkiw, Sowjetunion | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Größe | 180 cm | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Gewicht | 102 kg | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Sterbedatum | 26. April 2021 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Sterbeort | Moskau, Russland | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Karriere | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Disziplin | Kugelstoßen, Diskuswurf | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Bestleistung | 18,59 m (Kugelstoßen) ![]() 59,70 m (Diskuswurf) ![]() | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Verein | VSS Trud | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Medaillenspiegel | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
| ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom gewann Tamara die Goldmedaille im Kugelstoßen und die Silbermedaille im Diskuswurf. Bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio errang sie in beiden Disziplinen die Goldmedaille. Sowohl im Kugelstoßen als auch im Diskuswurf stellte sie jeweils sechs Weltrekorde auf. Auch bei Europameisterschaften war sie erfolgreich: 1958 in Stockholm wurde sie Dritte im Kugelstoßen, 1962 in Belgrad Europameisterin im Kugelstoßen und im Diskuswurf.
Sie stellte bei dem ersten Leichtathletik-Europacup der Frauen 1965 im Kasseler Auestadion einen Weltrekord beim Kugelstoßen mit einer Weite von 18,59 m auf.[3]
Den beiden Schwestern Tamara und Irina wurde nachgesagt, ihr Geschlecht könne nicht festgelegt werden. Sie galten manchen zumindest als Hermaphroditen; nach anderer Ansicht waren sie mit männlichen Hormonen gedopt.[4] In den Medien wurden die beiden Schwestern häufig als „Press Brothers“ bezeichnet.[5] Nachdem die Bestimmung des Geschlechts für alle international auftretenden Sportlerinnen 1966 zur Pflicht geworden war (diese Tests wurden 2000 in Sydney wieder abgeschafft), verschwanden beide Sportlerinnen von der Wettkampfbühne. In der westlichen Presse verstand man diesen Rückzug als Eingeständnis. In den russischen Zeitungen wird dies bis heute dementiert.
Die Press-Schwestern symbolisierten die glückliche Zeit der Sowjetunion nach Stalins Tod. Es herrschte jenes Tauwetter, welches später auch die Politik Michail Gorbatschows prägte. Tamara und Irina waren die populärsten Sportlerinnen der UdSSR, ihre Biografien typisch für diese Zeit. Der Vater starb im Krieg. Sie wuchsen fern ihrer Heimat auf, da diese von deutschen Truppen besetzt und zerstört worden war. Später absolvierten sie ein Studium an der Staatlichen Universität von Leningrad.
Nachdem ihre Nominierung für die Europameisterschaften 1966 vom Sowjet-Verband zurückgezogen worden war, machten die beiden beruflich Karriere. Irina ging zu den Grenztruppen des KGB und wurde dort Offizierin. Tamara wurde Bauingenieurin, schrieb zahlreiche Fachbücher über ihren Beruf, aber auch über den Sport. Später bekleideten beide im russischen Sport zahlreiche Ehrenämter. Tamara Press starb im April 2021 im Alter von 83 Jahren.[6]
Obwohl kein medizinischer Nachweis vorliegt, dass Tamara Press keine Frau bzw. intersexuell war, wurde in westlichen Medien dieser Verdacht immer wieder geäußert. Als sie nach Einführung der obligatorischen Geschlechtstests im Jahre 1966 nicht mehr zu Wettkämpfen antrat, verfestigte das den Verdacht, dass sie keine „echte Frau“ sei. So schrieb Der Spiegel am 13. November 1967:
„Die Fachleute trauten keiner Frau einen echten Weltrekord im Diskuswerfen zu. Denn er gehörte seit sieben Jahren einer Sowjetbürgerin, die 98 Kilo wog, weder rauchte, trank noch jemals flirtete und ihre Karriere erst beendete, nachdem 1966 ein Sex-Test für Leichtathletinnen eingeführt worden war.“[7]
Bislang gibt es nur eine wissenschaftliche Untersuchung, die sich mit der Geschlechtsdarstellung von Tamara Press in der zeitgenössischen westlichen Presse beschäftigt. In dieser argumentiert der Soziologe Dennis Krämer aus poststrukturalistischer Perspektive, dass die damalige Presse Tamara Press’ weibliches Geschlecht, wie auch das ihrer Schwester Irina, nicht deswegen systematisch als unweiblich dargestellt habe, weil dieses männliche Züge zeige, sondern in erster Linie, weil die sowjetische Sportlerin in starkem Kontrast zum damaligen westlich-konservativen Frauenideal von der zarten Hausfrau und Mutter gestanden habe. Die Bedrohungen, die in ihr als Sportlerin erkannt wurden, seien somit nicht von ihrem genuinen Körper ausgegangen, sondern hätten in unmittelbarer politischer Relation zur damaligen Konfliktsituation zu Zeiten des Kalten Krieges gestanden. Vor diesem Hintergrund habe Tamara Press’ Körper in den westlichen Medien in erster Linie deswegen als fremd, anders, sonderbar und abnorm gegolten, weil hinter ihrer Erscheinung das manipulative Einwirken einer ideologischen Maschinerie des Kommunismus zu Zeiten des Kalten Krieges vermutet wurde.[8]
1948: Frankreich 1946 Micheline Ostermeyer |
1952: Sowjetunion 1923
Galina Sybina |
1956: Sowjetunion 1955
Tamara Tyschkewitsch |
1960: Sowjetunion 1955
Tamara Press |
1964: Sowjetunion 1955
Tamara Press |
1968: Deutschland Demokratische Republik 1968
Margitta Gummel |
1972: Sowjetunion 1955
Nadeschda Tschischowa |
1976: Bulgarien 1971
Iwanka Christowa |
1980: Deutschland Demokratische Republik 1949
Ilona Slupianek |
1984: Deutschland BR
Claudia Losch |
1988: Sowjetunion
Natalja Lissowskaja |
1992: Vereintes Team
Swetlana Kriweljowa |
1996: Deutschland
Astrid Kumbernuss |
2000: Belarus 1995
Janina Karoltschyk |
2004: Kuba
Yumileidi Cumbá |
2008: Neuseeland
Valerie Vili |
2012: Neuseeland
Valerie Adams |
2016: Vereinigte Staaten
Michelle Carter |
2020: China Volksrepublik
Gong Lijiao
Liste der Olympiasieger in der Leichtathletik
1928: Polen 1919 Halina Konopacka |
1932: Vereinigte Staaten 48
Lillian Copeland |
1936: Deutsches Reich NS
Gisela Mauermayer |
1948: Frankreich 1946
Micheline Ostermeyer |
1952: Sowjetunion 1923
Nina Romaschkowa |
1956: Tschechoslowakei
Olga Fikotová |
1960: Sowjetunion 1955
Nina Ponomarjowa |
1964: Sowjetunion 1955
Tamara Press |
1968: Rumänien 1965
Lia Manoliu |
1972: Sowjetunion 1955
Faina Melnik |
1976: Deutschland Demokratische Republik 1949
Evelin Schlaak |
1980: Deutschland Demokratische Republik 1949
Evelin Jahl |
1984: Niederlande
Ria Stalman |
1988: Deutschland Demokratische Republik 1949
Martina Hellmann |
1992: Kuba
Maritza Martén |
1996: Deutschland
Ilke Wyludda |
2000: Belarus 1995
Elina Swerawa |
2004: Russland
Natalja Sadowa |
2008: Vereinigte Staaten
Stephanie Brown Trafton |
2012: Kroatien
Sandra Perković |
2016: Kroatien
Sandra Perković |
2020: Vereinigte Staaten
Valarie Allman
Liste der Olympiasieger in der Leichtathletik
1938: Hermine Schröder | 1946: Tatjana Sewrjukowa | 1950: Anna Andrejewa | 1954: Galina Sybina | 1958: Marianne Werner | 1962: Tamara Press | 1966: Nadeschda Tschischowa | 1969: Nadeschda Tschischowa | 1971: Nadeschda Tschischowa | 1974: Nadeschda Tschischowa | 1978: Ilona Slupianek | 1982: Ilona Slupianek | 1986: Heidi Krieger | 1990: Astrid Kumbernuss | 1994: Wita Pawlysch | 1998: Wita Pawlysch | 2002: Irina Korschanenko | 2006: Natallja Charaneka | 2010: Nadseja Astaptschuk | 2012: Nadine Kleinert | 2014: Christina Schwanitz | 2016: Christina Schwanitz | 2018: Paulina Guba
1938: Gisela Mauermayer | 1946: Nina Dumbadse | 1950: Nina Dumbadse | 1954: Nina Ponomarjowa | 1958: Tamara Press | 1962: Tamara Press | 1966: Christine Spielberg | 1969: Tamara Danilowa | 1971: Faina Melnik | 1974: Faina Melnik | 1978: Evelin Jahl | 1982: Zwetanka Christowa | 1986: Diana Sachse | 1990: Ilke Wyludda | 1994: Ilke Wyludda | 1998: Franka Dietzsch | 2002: Ekaterini Vongoli | 2006: Darja Pischtschalnikowa | 2010: Sandra Perković | 2012: Sandra Perković | 2014: Sandra Perković | 2016: Sandra Perković | 2018: Sandra Perković
Personendaten | |
---|---|
NAME | Press, Tamara |
ALTERNATIVNAMEN | Пресс, Тамара Натановна (russisch) |
KURZBESCHREIBUNG | sowjetische Kugelstoßerin und Diskuswerferin |
GEBURTSDATUM | 10. Mai 1937 |
GEBURTSORT | Charkiw, Ukrainische SSR |
STERBEDATUM | 26. April 2021 |
STERBEORT | Moskau, Russland |