Paula Wiesinger (verheiratet Paula Steger, * 27. Februar 1907 in Bozen, Österreich-Ungarn; † 12. Juni 2001 auf der Seiser Alm, Italien) war eine Bergsteigerin, Kletterin, Skirennläuferin und Gastronomin.
Wiesinger war eine der Pionierinnen des sechsten Grades im Klettern. Sie erschloss neue schwierige Kletterrouten in den Dolomiten wie z. B. die Ostroute der Rosengartenspitze, die Südroute des Winklerturms oder die Südkante der Punta Emma.
Paula Wiesinger wurde in Bozen als Älteste von fünf Geschwistern geboren. Ihr Vater fiel im Ersten Weltkrieg, daher musste die Mutter als Köchin nach Sterzing ziehen, um die Familie zu ernähren. Die Kinder blieben bei den Großeltern in Bozen. Dadurch stand Wiesinger nicht unter ständiger Kontrolle ihrer Eltern und genoss für ein Mädchen eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Freiheit.[1] Sie selbst meinte, das sei ihr Glück gewesen und habe ihr erlaubt, stets zu tun, was sie wollte.[2] Und sie wollte Bergsteigen, Klettern und Skifahren, alles für ein Mädchen ihrer Zeit sehr ungewöhnliche Tätigkeiten; mit dem Bergsport war sie bei den Besuchen bei ihrer Mutter in Sterzing in Berührung gekommen. Besonders in den Dolomiten fühlte sie sich wohl, hier verbrachte sie den Großteil ihres Lebens.[3]
Als ihr erster Seilpartner zum Militär eingezogen wurde, begann Wiesinger selbständig, Ziele und Klettertouren zu suchen. 1928 begegnete ihr beim Klettern im Rosengarten Hans Steger; beide waren ehrgeizig, voller Tatendrang, und hatten ein ähnliches Leistungsniveau. Ein bezeichnender und oft zitierter Ausspruch Wiesingers lautete: „isch jo gleich, ob dr Hons vorgaht oder i“ (deutsch: „es ist einerlei, ob Hans vorsteigt (führt) oder ich“)[4]. Damit waren Wiesinger und Steger Ende der 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre ein alpines Traumpaar: hier waren zwei ebenbürtige talentierte Partner zusammengetroffen.[5]
Wiesinger war zu ihrer Zeit eine der besten Bergsteigerinnen und hatte mehr Mut und Erfahrung als die meisten männlichen Bergsteiger in den Dolomiten. Sie war nicht nur eine gute Kletterin, sondern bewies auch Ausdauer und Nervenstärke: In der Südwand der Marmolata wurden sie und 2 Bergkameraden von einem Wettersturz überrascht. Nachdem der Seilerste vom Blitz getroffen worden war, massierte sie ihn und baute ein Biwak für den Verletzten. Am nächsten Tag gelang es ihr und dem Dritten, den Verletzten auf eine Terrasse zu bringen, wo sie ein zweites Mal biwakierten. Am dritten Tag überfiel auch den zweiten Mann Schwäche, und Wiesinger entschloss sich, alleine weiterzusteigen, da sie ein drittes Biwak kaum überlebt hätten. Oben traf sie Bergführer, die bereits eine Rettung eingeleitet hatten. Diese holten die beiden Männer aus der Wand und brachten sie nach Bozen in ein Krankenhaus, wo sie behandelt werden mussten. Wiesinger dagegen war am nächsten Morgen wieder bei der Arbeit.[6]
Ihre Stärke beim Klettern drückte sich durch ein gutes Gefühl für Fels und Linienführung aus. Risse und Kamine, wie sie in den Dolomiten häufig vorkommen, waren ihre besondere Stärke.[5] Da Hans Steger besonders gut in Platten war, ergänzten sich die beiden perfekt.[7]
Sie hat in den Dolomiten schwierigste Routen erstbegangen, wie z. B. am 11. September 1928 den Nordpfeiler des Einserkofels über den „Weg der Jugend“[8] oder die Südwand des Winklerturms, an der Civetta, die direkte Ostwand an der Rosengartenspitze[9] sowie die Südkante der Punta Emma (beide Rosengartengruppe). Die Nordwand des Zwölferkogels bestieg sie als zweite Seilschaft, den Südpfeiler der Marmolata als vierte. In all diesen Routen war Wiesinger die erste Frau.[10] Ihr herausragendes Kletterkönnen stellte sie unter Beweis, indem sie selbständig Routen bis zum sechsten Grad führte,[11] damals die absolut höchste Schwierigkeit im Klettern. Selbst der belgische König buchte Wiesinger häufig als Bergführerin für seine Urlaube in Südtirol.[12] Allein in den Dolomiten machte sie bis 1934 mindestens 62 Kletterrouten, davon 28 im fünften und 7 im sechsten Grad.
In der Kletterliteratur sind die meisten Routen, die sie mit Hans Steger erstbegangen hat, als „Steger“ genannt, obwohl sie eigentlich „Steger/Wiesinger“ heißen müssten. Verheiratet waren Paula und Hans lange nicht; sie gaben sich erst am 27. Juli 1942 in Innsbruck das Ja-Wort.[5]
Die Begeisterung für das Bergsteigen sollte sie ein Leben lang begleiten, noch mit 71 Jahren bestieg sie zusammen mit Steger den Langkofel über die Normalroute.[13]
Wiesinger war auch eine ausgezeichnete und erfolgreiche Skirennläuferin. Von 1931 bis 1936 gewann sie insgesamt 15 italienische Meistertitel. 1932 wurde sie in Cortina d’Ampezzo Weltmeisterin in der Abfahrt. In der Kombination wurde sie zudem Sechste. Ihren Erfolg konnte sie im darauffolgenden Jahr mit einem vierten Platz in der Abfahrt bei der Weltmeisterschaft in Innsbruck bestätigen. In St. Moritz wurde sie 1934 noch einmal Fünfte im Slalom und stellte in der Marmolata einen Streckenrekord auf, der erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebrochen wurde. Im selben Jahr fuhr sie beim Breithornrennen als einzige Frau mit und erreichte unter 100 Männern den 12. Platz.[5]
Ab 1943 arbeitete Paula mit Luis Trenker an dessen Film Der verrufene Berg, in dem Paula die Skiszenen für Evi Maltagliati übernahm.
Später erwarb Wiesinger mit ihrem Mann und Kletterpartner Hans Steger die Dellai-Hütte auf der Seiser Alm, die sie zum Hotel Steger-Dellai ausbaute. Sie leitete das Hotel bis 1998 und starb im Alter von 94 Jahren auf der Seiser Alm. Nach ihrem Tod ging das Hotel in eine Stiftung über, die neben dem Hotel die Aufgabe hat, die Erhaltung und Förderung der Seiser Alm als Naturschutzgebiet zu gewährleisten. Im Jahr 2006 wurde der „Hans und Paula Steger-Wanderweg“ auf der Seiser Alm zum Gedenken an beide eröffnet.
Paula Wiesinger gehörte zu den erfolgreichsten Bergsteigerinnen der Zwischenkriegszeit, sie übernahm auch im schwierigsten Fels die Führung (Vorstieg). Ihr gelangen eine Reihe sensationeller Erstbegehungen in den Dolomiten, häufig zusammen mit ihrem Lebenspartner und späteren Ehemann Hans Steger. Auszug aus ihren Erstbegehungen:[14][15]
Alpine Skiweltmeisterschaften:
Wiesinger wurde 15-fache Italienische Meisterin:
1931: Esmé MacKinnon | 1932: Paula Wiesinger | 1933: Inge Wersin-Lantschner | 1934: Anny Rüegg | 1935: Christl Cranz | 1936: Evelyn Pinching | 1937: Christl Cranz | 1938: Lisa Resch | 1939: Christl Cranz | 1948: Hedy Schlunegger | 1950: Trude Jochum-Beiser | 1952: Trude Jochum-Beiser | 1954: Ida Schöpfer | 1956: Madeleine Berthod | 1958: Lucille Wheeler | 1960: Heidi Biebl | 1962: Christl Haas | 1964: Christl Haas | 1966: Marielle Goitschel | 1968: Olga Pall | 1970: Annerösli Zryd | 1972: Marie-Theres Nadig | 1974: Annemarie Moser-Pröll | 1976: Rosi Mittermaier | 1978: Annemarie Moser-Pröll | 1980: Annemarie Moser-Pröll | 1982: Gerry Sorensen | 1985: Michela Figini | 1987: Maria Walliser | 1989: Maria Walliser | 1991: Petra Kronberger | 1993: Kate Pace | 1996: Picabo Street | 1997: Hilary Lindh | 1999: Renate Götschl | 2001: Michaela Dorfmeister | 2003: Mélanie Turgeon | 2005: Janica Kostelić | 2007: Anja Pärson | 2009: Lindsey Vonn | 2011: Elisabeth Görgl | 2013: Marion Rolland | 2015: Tina Maze | 2017: Ilka Štuhec | 2019: Ilka Štuhec | 2021: Corinne Suter
Personendaten | |
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NAME | Wiesinger, Paula |
KURZBESCHREIBUNG | italienische Bergsteigerin, Skirennläuferin und Gastronomin |
GEBURTSDATUM | 27. Februar 1907 |
GEBURTSORT | Bozen, Österreich-Ungarn |
STERBEDATUM | 12. Juni 2001 |
STERBEORT | Seiser Alm, Italien |